Törnbericht Rund-Rügen-Fahrt Frühjahr 2004


Boot: Ixylon-Jolle 020
Mannschaft: André Weidlich und Gabi Franz
Verein: SC Fraternitas 1891 e.V.


Mit 15 bis 50 Gleichgesinnten um drei Regattatonnen zu segeln, möchten wir nicht missen. Aber einmal im Jahr gönnen wir uns eine Tour auf der Ostsee und nutzen unsere Ixylon so, wie sie ursprünglich gedacht war: als Wanderjolle mit zwei Schlafplätzen.

Alljährlich zum Herrentag segelten wir schon zahlreiche 3-Tage-Törns in den Gewässern um Hiddensee und Darß. Für Rund-Rügen braucht man mehr Zeit, annehmbares Wetter und ein bisschen Erfahrung mit dem Aussteuern der Welle, wenn die Jolle mit ca. 100 kg Gepäck beladen ist. Die Checkliste der Herrentagstour wurde mit mehr Kleidung, Niko-Signalpistole, Radio, einem zweiten wasserdicht verpackten Handy und einem GPS-Taschen-Empfänger ergänzt.

Für die Jolle brauchbare Seekarten gibt es nicht. Das übliche A3-Format wird dem Vorschoter ab 5 Windstärken aus den klammen Fingern gerissen. Einzige Alternative sind die von Delius Klasing verlegten „Land- und Seekartenführer“. Eine gute Idee, darin die Landseite nicht als Wüste abzubilden und einige Touristeninformationen in die handlichen Ringhefte aufzunehmen. Leider müssen aber fehlende Wegepunkte sowie Längen- und Breitengrade per Hand nachgetragen werden. Als alles beschafft, gecheckt und gepackt war, ging´s Pfingst-Freitag in Richtung Stralsunder Ruderverein. Gegen 21.00 Uhr wurden wir von Horst, der guten Seele des vereinseigenen Glas-Bier-Geschäfts, wie immer herzlich mit einem Halben Liter und einem guten Abendbrot begrüßt und übernachteten dann noch einmal in einem richtigen Bett.

Samstag, 29.05.2004 Stralsund – Yachthafen Vitte

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Um halb acht gab es reichlich Frühstück zusammen mit einem lustigen Duzend Rudersleut, die wir von den Vorzügen des Segelsports (nicht wirklich) überzeugten. Gut drei Stunden brauchte das Aufriggen und Stauen. Eine letzte Kontrolle der Jolle konzentrierte sich auf die Ruderanlage, die Wanten und Fockroller und den Lenzer, der in den nächsten Tagen gut zu tun bekam. Bei 250 kg für Mannschaft und Gepäck liegen Jollenboden und Wasserlinie auf gleicher Höhe. Lässt sich das Lenzventil nicht vollkommen dicht schließen, erwacht man im nassen Schlafsack.

Halb eins war alles perfekt und wir legten in Richtung Yachthafen Vitte ab.
Die Sonne lachte und mit Nord bis Nordwestwind, Stärke 3 blies Rasmus zur Kreuz. Dafür bieten Kubitzer und Schaproder Bodden jede Menge Raum, wenn man mit nur 80 cm Tiefgang unterwegs ist.

Erst vor der Fährinsel mussten auch wir die Nähe des Fahrwassers aufsuchen.
Gegen 18.00 Uhr trafen wir im gut belegten Yachthafen Vitte ein. Zunächst löhnten wir beim Hafenmeister Olaf die Liegegebühr – inzwischen immerhin 7,00 € für 5,1 Meter Jolle.
Hiddensee reizt jeden Besucher zum Durchwandern dieses landschaftlichen Kleinods, auch wenn es die Fischkutter-auf-Sandstrand-Idylle nur noch auf Bildern gibt. Die Kutter sind durch Gaststätten ersetz worden und einige bieten einen wirklich guten Happen. Gute Preise gibt es überall.

Zum Ölzeug lüften, das Boot trockenwischen und umbauen zur „Schwimm-Zelt-Koje“ hatten wir zwei Stunden gebraucht, und begnügten uns dieses Mal mit einem kurzen Landgang zur Westseite der Insel. Bei Sonnenuntergang und mit einer Flasche Wein begrüßten wir die „richtige“ Ostsee und wünschten ihr und uns beizeiten eine „Gute Nacht“.

Pfingstsonntag, 30.05.2004 Vitte – Glowe

6.00 Uhr der erste Blick zum Himmel: grau, wolkenverhangen, Flaute … Weiterschlafen. Gegen acht kitzelte uns die Sonne aus dem Schlafsack. Sie hatte die Wolken aufgelöst, brachte aber nur ganz wenig Wind. Ein Rest Nordwest von gestern hätte uns gut nach Arkona gebracht, aber mit jeder Stunde schwand unsere Hoffnung. Da blieb viel Zeit für Frühstück und Dusche – oder besser gesagt, einem Duschversuch. Für 1,50 € gab´s kaltes Wasser, und auch das war plötzlich alle! ärgerlich, – zumal es ein ähnliches Problem hier schon einmal gab.

Für den Nachmittag war Nordost mit 5 angekündigt. Mit immer noch ganz wenig Wind, aber immerhin ganz viel Optimismus, dass es besser kommen könnte, legten wir mittags ab.

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Bei der Rassower Bucht ankerten vier Ixylons zum Boddenpicknick und Baden – brrrr. Im Vorbeitrödeln ein kurzer Plausch mit dem Rottenführer … woher… wohin … „Um Hiddensee herum. Und Ihr?“ „Eigentlich Rund Rügen.“ „Oh“ Sein Wetterbericht war auch nicht besser als unserer, und er riet uns dringend ab.
Um 14.00 Uhr setzte der Nordost mit harten Böen ein. Fünf Windstärken lassen sich mit eingebundenem Reff noch sicher kreuzen. Aber weder das Radio noch der Himmel verrieten uns, was aus dem ruppigen Wind in den nächsten Stunden werden würde.

Andrés Stirnrunzeln: „Arkona kannst´e abhaken!“ und Gabis langes Gesicht ….
Umkehren und in Vitte auf das Wetter lauern, könnte Tage dauern; bei Nordost meist drei. Zulange für uns. Also den anderen Ixy´s hinterhehr mit der Vorstellung, das sie uns trösten werden, während wir in Barhöft unser Vorhaben für dieses Jahr im Alkohol ertränken.

Bei Neubessin drehte der Wind auf Ost und flaute etwas ab. Am Enddorn immer noch Ost mit 4. Vielleicht doch noch Rund Rügen? Neue Lage, neue Beratung und ein Blick auf die Karte: Bei Dranske gibt es eine Art Nothafen. Um dort fest zu machen, muss man das Ende einer „L“-förmigen Buhne so ansteuern, dass der Vorschoter mit einem langen Anlegeende einen glitschigen Holzdalm erklimmen kann, um die Jolle in den Wind zu ziehen. Gelingt das nicht beim ersten Mal, wird die Jolle vom Wind gegen die nächste Buhne oder an das steinige Ufer gedrückt, denn die kleine Mole bietet nur wenig Raum für einen zweiten Versuch. Sicher ein interessantes Abenteuer, aber nicht mit uns! Bei Kreplitz und Nonnevitz kann man notfalls mit weniger Risiko stranden. Ein dritter Strand, kurz vor Arkona, kann überspült werden, und die landseitige Bergung der Jolle ist durch die Steilküste sehr schwierig.

Mit „Nonnevitz“ im Hinterkopf segeln wir erst einmal 2 Schläge Richtung Dranske. „Der Wind bleibt so!“ verkündete Gabi und verwies auf Dunststreifen, die sich bis zum östlichen Horizont bildeten. Schön, wenn Einer die Zeichen des Himmels versteht und der Andere ihm glaubt. Weitersegeln, um die Ecke lunzen und dann sehen, was geht … und es ging gut: bis zum Höllenfeuer und bis Kap Arkona, das wir gegen 19 Uhr umrundeten.

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Der Dunst hatte sich auf das Meer gelegt, und trotzdem sah Arkona aus dem speziellen Blickwinkel unserer Jolle viel schöner aus als auf sonnigen Postkarten und entschädigte uns für die Mühen der Kreuz.
Wir erwogen, in dem kleinen Fischerhafen bei Vitt zu übernachten. „Für Lohme reichte die Höhe nicht, aber was hältst Du von Glowe?“ Gabi hatte fleißig gemessen und gerechnet, und Andre stierte auf irgendetwas Graublaues im Süden: „Da gibt´s kein Glowe.“ „Doch! 173 Grad und halb neun sind wir da!“ Und genau so war´s dann.

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Die Natursteinmole des runderneuerten Hafen Glowe liegt nicht sehr windgeschützt, aber vorerst ging der Wind etwas schlafen. Bei Ankunft zu später Stunde müde vor einem geschlossenen Hafenmeisterbüro zu stehen, um dann doch keine Duschmarke mehr zu bekommen, ist in Glowe nicht notwendig. Die Duschen hier funktionieren mit Eurostücken. Sehr angenehm wie vieles andere auch: der freundliche Hafenmeister, die 3,50 € Liegegebühr, der kleine Kiosk mit Aussichtsturm und Fernrohr, die gepflegte Strandpromenade und der Italiener am Ostende der Hauptstrasse, der uns einzigen Gästen noch um 23 Uhr ein warmes Abendbrot zauberte.

Pfingstmontag, 31.05.2004 Hafen Glowe

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Der angekündigte Wind in Stärken bis 5 aus Nord-Ost kam bereits nachts und nahm morgens auf 6, in Böen 8, zu. Viel Sonne + zu viel Wind = Wandertag.
An einem Reiterhof vorbei ging es nach Polchow. Natur pur bietet der Blick von der Brücke zwischen Spyker See und Mittelsee auf den Jasmunder Bodden. Der uns empfohlene Verkaufsstand des Fischers in Polchow hatte geschlossen. Seine Saison begann erst nach Pfingsten. Schade. Satt geworden sind wir in einer Gaststätte ein paar hundert Meter weiter in Richtung Bobbin. Zum Kaffee zurück in Glowe zieht Andrés Fazit nach dem Spaziergang: „Schön, aber so weit laufen Segler nicht!“ Abends wieder im Hafen blies es unvermindert und selbst auf dem Steg mit bis zu 33 Knoten. Obwohl unsere Jolle hinter Dickschiffen lag, pfiff der Wind unter der stark wedelnden Persenning hindurch. So konnten wir nicht schlafen. Schließlich wickelten wir mit unserm Ankertau die Ixylon samt Plan ein. Sie sah nun aus wie eine Roulade, aber das Problem war gelöst.

Dienstag, 01.06.2004 immer noch Glowe

Wind und Wetter waren wie Tags zuvor, und auf Abraten des Hafenmeisters nix zum Segeln. Duschen, Kaffee kochen unter´m Plan und Frühstücken im Schafsack – kuschelig!
Dann schlägt´s 13, und wir müssen noch bunkern. Alles was gebraucht wird, gibt es in einem kleinen Markt und zum Mittagessen endlich auch frisch geräucherten Fisch an der Strandpromenade. Wir lernten den ebenfalls regattabegeisterten Vorschoter Gerd vom benachbarten Vierteltonner kennen, quatschen uns bis zum Abend fest und essen noch mal Fisch. Gerd lud uns an Bord und wir klönten bis zum Ende einer zu Grog verarbeiteten groöen Buddel Rum.

Mittwoch, 02.06.2004 Glowe – Lohme – Saßnitz

André hatte um 6.00 Uhr den aktuellen Seewetterbericht gelesen und Gabi einen Kater. Trotzdem raus und die Chance des Tages zu nutzen. Der Nord-Ost hatte auf 5 abgeflaut und sollte noch bis 4 abnehmen. Knapp dreißig Seemeilen waren es bis Thiessow. Ein scharfer Anlieger und vielleicht 2 bis 3 Verhohler bis Lohme und dann mit Raumschot zum Südperd könnte, bei 5 Knoten Fahrt im Mittel, in 6 Stunden klappen ….. theoretisch.

Segelklar machen ging ein bisschen schwerfälliger als sonst. Wir kamen erst gegen 11 Uhr los, und prompt dreht der Wind auf Ost.

Na ja, dann eben kreuzen … schon wieder. Auf Steuerbordschlag nach Süd-Ost ging das ganz gut, aber auf Backbordschlag mussten wir nach Nord abfallen. Die alte, ein Meter hohe Welle von zwei Tagen steifer Nord-Ost-Briese war zu kurz, um direkt dagegen anzugehen. Mit Reff erreichten wir auf beiden Schlägen knappe 6 Knoten, aber durch diesen Sägezahnkurs benötigten wir bis zum nur 5,5 Seemeilen entfernten Lohme fast drei Stunden.

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„´n dicken Kopp, blöder Wind und alles nass hier!“ lassen uns anlegen und die, auf halber Höhe der Steilküste liegende, Gaststätte erklimmen.

Kaffee, Suppe, der Meeresblick und ein gelbes Dingi mit dem Namen „Dorfschlampe“ verbesserten merklich die Stimmung.

15.00 Uhr ging´s weiter, und bis Stubbenkammer kreuzten wir noch zwei „Sägezähne“. Auf den Königsstuhl hatten wir wieder diesen speziellen unübertreffbaren Jollenblick und dazu kam das von der Kreide smaragd-schimmernde Wasser.

Bis zu den Wussower Klinken kamen wir gut voran. Aber Neptun bastelte uns eine immer höhere und kürzere Welle aus Nod-Ost, während Rasmus ein bisschen die Puste ausging. Thissow war nicht mehr zu erreichen. Wir mussten nach Saßnitz und es begann eine mühselige Vorwindkreuz.

Die inzwischen 1,5 Meter hohen Wellenberge konnten über das Heck einsteigen und die Jolle ein paar Zentimeter tiefer legen. Das Wasser bekommt man nicht schnell genug aus dem Boot und die nächste Welle hat ein leichtes Spiel. In den Wind stellen, um das Reff herauszuziehen und schneller vor der Welle zu laufen, hätte das Boot für einige Minuten steuerungslos gemacht, und das war zu riskant.

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Um das Einsteigen der Welle zu verhindern musste Andre vor jedem Wellenberg anluven und Gabi jedes mal von Lee nach Luv trimmen und die Berufsschifffahrt im Auge behalten. Nur im Wellental konnten wir ein paar Meter ablaufen Aber auch das ging nicht auf Backbordschlag, weil der Ostwind mit einer Patenthalse drohte. Saßnitz war zum Greifen nahe, aber die Mole wurde länger und länger. Uns blieb nur Konzentrieren, Nerven bewahren und wir waren froh, uns nach Umrunden des Leuchtfeuers unbeschadet vor der schwierigen See verstecken zu können. Für die 6 Stunden gefühlte Zeit brauchten wir 90 Minuten, um knappe zwei Seemeilen abzulaufen.

Der Hafen war voll. Viele warteten auf Westwind für Bornholm. Wir fanden nur einen freien 25-Meter-Stand, der unsere Anlegeenden überforderte. Für die „8-Meter-Yacht“ (was Kleineres gab´s auf der Preisliste nicht) zahlten wir 7,00 € und duschten für 2,00 € im „Mobby Dick“.

Die Schaukellei hatte unserem Gleichgewichtssinn zu schaffen gemacht, und als wir durch einen Landgang unseren Adrenalinspiegel auf Normalmaß heruntertraten, schwankte alles: die schier endlose Treppe zur Stadt, die Straßen zum Zentrum, das Abendessen samt Kneipentisch. Wir kompensierten das mit etwas Bier und einer undefinierbaren, hochprozentigen Spezialität der Sportgaststätte, und nach fünf Minuten in der Koje schwankte nichts mehr.

Donnerstag, 03.06.2004 Hochseehafen Saßnitz – Thiessow – Lauterbach

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Um halb sieben bestätigte der Blick von der Mole den Seewetterbericht von 5.40 Uhr: Ost-Nordost 4 – 5 süd-drehend, See 0,5.

„Jetzt oder nie! Wir müssen um´s Südperd, bevor der Wind dreht.“ Nach kurzem Frühstück und zügigem Umbau waren wir um halb elf klar. Den harten Vortag noch im Kopf, beruhigte uns die Nähe eines Seekreuzers, der mit gleichem Ziel ein paar Minuten vor uns auslief. Der Halbe Wind machte die Jolle schnell, und wir hüpften mit bis zu 8 Knoten über die zahmer gewordenen Wellen. Beim Seekreuzer lief es nicht so gut. Die Welle war zu kurz für ihn, er stampfte sich fest, und wir verloren ihn bei Granitz achtern aus den Augen.
Einsam steuerten wir auf die Greifswalder Oie zu. Ob uns die Untiefen am Nordperd gefährlich werden konnten, wussten wir nicht. Wir hielten einen respektablen Abstand und gingen erst bei 13° 47´ Länge auf Vorwindkurs. „Was iss´n mit Spinnaker?“ „Och…nö, kein Stress bitte. Gestern hat gereicht! Wir sind auch so schnell genug.“ Und der Spinnaker blieb im Sack.

Vom Kappelwasser am Südperd wurden wir zweimal geduscht. Machte aber nichts, denn der Bodden hatte nur wenig Welle, und die Sonne legte uns wieder trocken.

Neugierig kreuzten wir in die enge Fahrrinne zum Zickersee, um uns im Süden den neuen Hafen von Thissow anzusehen. Die Einfahrt in das windgeschützte, quadratische und zur Hälfte gewerblich genutzte Hafenbecken erfolgt von Westen.

Wir mussten über die hohe Kaimauer an Land klettern. Stege gab es noch nicht, und ein bisschen störten uns die Mülltonnen vor dem Sanitärgebäude. Aber das wird schon noch werden. Nach einem kleinen Imbiss legten wir wieder ab.

Wie vorausgesagt, kam der Wind inzwischen aus Süd-Ost mit einer knappen 3, und wir setzten nun doch Spinnaker, denn „So´n platter Bodden ist doch auch mal was Schönes.“. Wir klemmten die Schoten fest und aalten uns in Urlauber-Werbe-Pose im Achterschiff. Die Sonne bräunte den Nacken, Gabi spielte GPS, André steuerte danach und rammte beinahe die Reddevitz-Tonne vor Vilm.

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Lauterbach erreichten wir gegen 19 Uhr, suchten flache Jollenstände und fanden den Segelclub Putbus. Der einzige Steg des Vereins liegt im westlichen Hafenbecken an der rechten Schilfkante. (Vorsicht! Der Nachbarsteg gehört einer ziemlich teuren Marina.) Die Sportfreunde begrüßten uns: „Für große Boote habe wir kein Platz mehr, aber für eine Jolle findet sich immer was.“ und halfen beim Festmachen in einem der wenigen freien Stände. Bestens bedient waren wir mit 3 Euro für die Nacht inklusive Freiluftdusche. Die liegt genau gegenüber der Endstation des „Rasenden Roland“. Über die schulterhohe Sichtblende sieht man, wie dessen Fahrgäste kucken, wer da kuckt und duscht, bis der „Roland“ uns auspfeift und davonschnauft. Im Umkreis vom 500 m zählten wir 6 (in Worten: sechs) Kneipen. Aber um 22.00 Uhr irrten wir mit einem Duzend anderer Durstiger im Ort herum und fanden keine einzige, die geöffnet hatte. Letztlich mussten die Bordreserven herhalten.

Freitag, 04.06.2004 Lauterbach – Stahlbrode – Stralsund

Vorbildlicher als in manchen Häfen hängt der aktuelle Seewetterbericht am Vereinshaus, und der las sich chaotisch. Außer Nord und Nordost sind alle Windrichtungen in Stäken zwischen 1 und 5 genannt und mit den Worten „drehend“, „umlaufend“ und „Niederschlag“ verziert. Wir konnten uns das weder merken noch planen, aber besser als gar kein Wind aus keiner Richtung.

Zum Frühstück gab es Sonne und wir gingen den Tag gelassen an. Erst halb zwölf machten wir uns in Richtung Zudar auf den Weg. Der Wind sprang auf Süd-West 5 und begann den chaotischen Wetterbericht abzuarbeiten. Es regnete. Wir suchten am Himmel argwöhnisch aber vergeblich nach Gewitterwolken. Vor Palmer Ort verlängerte West 3 den Schlag über den Mittelgrund bis zur Unterkante unserer Seekarte. Nach der Wende Nordwest mit 2, dann 1, dann noch weniger, und Regen und Abdrift und Strömung und nach eineinhalb Stunden wieder Palmer Ort. „Der Schlag ist wie´s Wetter: Einfach nur bescheiden!“ Mit kürzeren Schlägen im Norden ging´s ein bisschen besser, aber der Wind quälte uns mit West 2, dann wieder Südwest 1 und immer noch Regen bis Stahlbrode. Ausgekühlt und hungrig stolperten wir mit voller Montur in die Kneipe im Fährhafen, und erst nach einem ersten heißen Grog legten wir Schwimmwesten und Ölzeug ab. Schweinebraten mit Bratkartoffeln, Kaffee und noch zwei Grog machten die Welt wieder rund und wir überlegten, ob und wie es weitergehen sollte.

Stahlbrode hatte alles zu bieten, was wir brauchten, aber unter dem Plan die Koje trocken wischen und am nächsten Morgen ins nasse Zeug steigen, hielt uns von einer Übernachtung ab. In Stralsund erwartete uns ein festes Dach über dem Kopf, und um 17 Uhr rafften wir uns wieder auf.

Der Regen hatte etwas nachgelassen und der Wind mit 2 auf Ost gedreht. Mit Vorwind ging es ganz gut voran, aber die Sicht war so schlecht, dass wir einige Tonnen nur mit Kompass und GPS ausmachen können.

Wir mussten die Ohren aufspannen, um der Berufsschifffahrt rechtzeitig auszuweichen, die uns nach dem Brückenzug um 17.20 Uhr entgegenkam. Ausgerechnet vor Drigge setzte Südwest mit 4 ein und brachte wieder kräftigen Regen, aber bessere Sicht. Wir knüppelten bis Steinort dagegen an und der Wind sprang wieder auf Ost. „Das kann doch alles nicht wahr sein! Wer ist hier eigentlich besoffen: Der da oben oder wir?“ und erreichten den Punkt, an dem uns nichts mehr erschüttern konnte. Der Brückenzug war längst vorbei und wir ließen Dänholm links liegen. Auch wenn es zwei Bootslängen davor überhaupt nicht so aussieht, passen sieben Meter Mast locker unter dem Rügendamm hindurch. Endlich erblickten wir unser Ziel: den Stralsunder Ruderverein.

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Nach sieben Tagen, um 20.03 Uhr legten wir an und hatten es also tatsächlich geschafft, um Rügen herum zu segeln.

Das Ufer ist flach, und wir mussten Boot und Wagen erst 30 Meter über den Grund zerren, bevor wir den Slip erreichten. Zu zweit schaffen wir das nur, wenn die Jolle leer ist. Aber wir hatten Glück. Zwei Kanusportler wateten mit uns ins Wasser, und in einem gemeinsamen Kraftakt wuchteten wir die voll beladene Jolle samt 10 Zentimeter Wasser an Land und deckten sie, nass wie sie war, ab, schnappten uns die nötigsten Sachen und während einer Stunde im Duschraum wurden aus 150 kg geschundenem Feinfrost wieder zwei richtige Menschen.

„Horst, wir geben einen aus! Wir sind rum!“ Der Wirt freute sich mit uns und gab selbst einen aus. Obwohl er mit einer Silberhochzeit im Großen Saal alle Hände voll zu tun hatte, bereitete er uns ein üppiges Abendbrot und fand dann doch noch ein viertel Stündchen Zeit, um sich unser Erlebtes im Telegrammstiel vorschnattern zu lassen. Zwei richtige Betten hatte er zwar nicht frei, aber in einer zum Massenquartier umfunktionierten Turnhalle befanden sich dicke Matratzen, und im Kreise von 20 Ruderern schliefen wir wie die Murmeltiere.

Samstag, 05.06.2004 Stralsund – Heimatstadt Berlin

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Zusammen mit den Ruderern frühstückten wir. Sie waren, wie wir, Gäste des Vereins, wollten das erste Mal auf die Ostsee und waren aufgeregt und angespannt. Wir wünschten ihnen „Mast- und Schotbruch“, aber das nutzte ihnen ja nichts.
Während das Radio die Akkus leer dudelte, verteilten wir unser nasses Zeug im Vereinsgelände, und die Sonne knallte alles in Rekordzeit trocken, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Um 15 Uhr war alles verladen und verstaut. Wir rollten vom Hof, wie immer ein bisschen wehmütig, aber glücklich, denn auf der guten alten Ostsee bleibt auch nächstes Jahr wieder alles …. ganz anders.

Gabi und André